RITA ROHLFING – ROTLICHTBEZIRK, Alte Rotation, LVR Landesmuseum Bonn

Christian Krausch

„Kunstwerke, die der Betrachtung und dem Verstand ohne Rest aufgehen, sind keine.“ Theodor W. Adorno
Museen sind erotische Orte. Die Beziehung zwischen Kunstwerk und Betrachter basiert auf einer Intimität und Vertrautheit, wie sie (im Idealfall) Voraussetzung größter Nähe ist. Die Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk, sei sie nun spontan und eruptiv oder allmählich sich entwickelnd, schafft ein Klima energetischer Spannung, die in Form der Erkenntnis nach Entladung trachtet. Von besonderem Reiz dabei ist das Spiel mit dem Mysterium, das ein kontinuierlich sich erneuerndes Interesse am Gegenüber garantiert. Erst das Geheimnis ist die Basis kontinuierlicher Neugier.

Auch Rita Rohlfing ist sich der Kraft des Rätselhaften bewusst. Ihre raumgreifenden Arbeiten aus Aluminium, Plexiglasscheiben sowie Lackfarben oder farbigen Folien spielen mittels ihrer partiellen Transparenz mit der Wahrnehmung der Betrachter. Diffuse Farbschimmer hinter milchiger Scheibe stellen gleichermaßen Fragen nach ihrer Herkunft, wie Reflektionen roter Farbe auf glänzenden Metallschichten. Anderenorts spielen mattierte Oberflächen von Edelstahlplatten mit der Winkeligkeit des Ausstellungsraumes, der im diffusen Zerrbild der Spiegel an Realitätsnähe verliert. Vergleichbares gilt für die Boden- Wandobjekte aus Aluminium, deren spiegelbildlich bedingten scheinbaren Volumina den jeweiligen Umraum auf transzendentaler Ebene zu erweitern trachten. Jedes Objekt will dabei umschritten oder zumindest aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden, da dadurch erst seine Komplexität erfasst werden kann. Immer wieder versucht das Auge in diesen Arbeiten Klarheit zu schaffen, wo der Umgang mit Rätselhaftig- und Schemenhaftigkeit zum Thema geworden ist. Illusion und Wirklichkeit wechseln einander ab, was zu einer Überprüfung der Sachverhalte führt. Spannung entsteht, die unweigerlich die Aufmerksamkeit forciert. Rita Rohlfings Arbeiten müssen folglich nicht um unser Augenmerk buhlen. Es ist ihnen aufgrund ihrer eigenwilligen Natur garantiert. Die Skulpturen der Künstlerin wecken in ihrer Mischung aus Schlichtheit und Emotionalität die Neugier am Unbekannten und Fremden. Allein dieser Reiz verleiht den Werken nachhaltig Aussage und Kraft.

Die aktuelle Rauminstallation „Rotlichtbezirk“ für die „Alte Rotation“ in Bonn ist beredter Zeuge dieser Denkweise. Mehr noch, als manche frühere Arbeit, lebt die Skulptur von der Reduktion der Mittel im Hinblick auf die vordergründige Wahrnehmung. Auf den ersten Blick will sich das Objekt eher den Blicken entziehen, als sich der Betrachtung freizugeben. Die beiden schlichten monumentalen Kästen aus Aluminium, deren Oberflächen aus transparenter PVC-Folie bestehen, lenken schnell alles Augenmerk auf die Industriearchitektur des Ausstellungsraumes, der in seiner Klarheit aufgegriffen wird. Das Material Aluminium korrespondiert dabei dank seines zweckmäßigen Charakters mit der Sachlichkeit des einstigen Industriekomplexes. Pragmatische Strenge will den Betrachter umfangen. Allein der Blick auf die PVC-Folie widerspricht dem ersten Eindruck alleiniger Neutralität, da hier eine nicht unmittelbar eindeutig zu definierende Ebene aus der Tiefe des Werkes auf sich aufmerksam macht.

Scheinbar rotes Licht verschiedener Valenz schimmert im Bauch der Objekte und strahlt durch die transparente Folie in den Realraum ab. Die Nüchternheit der Skulptur wird durch dieses Licht zugunsten einer Emotionalität aufgebrochen, die eine genauere Erforschung des Werkes nach sich zieht. Das Umschreiten der Arbeit erlaubt Anblicke verschiedener Rot-Töne, die bis Lila und Blau hin changieren. Unklar bleibt dabei der genaue Ursprung der unterschiedlichen Farbausstrahlungen, da die Mattigkeit der oben gespannten PVC-Folie keinen klaren Einblick erlaubt. Allein Vermutungen lassen an farbige Folien denken, die innerhalb der Skulpturen gespannt sind und durch Kunstlicht aus einer nochmals tiefer gelegenen Schicht angestrahlt werden. Durch variierende Abstände der verschiedenen Farbbahnen zur Oberflächenfolie ließen sich die wechselnden Farbintensitäten erklären, gekoppelt an die unbestimmt divergierenden Volumina innerhalb der massiven Körper. Eindeutigkeit indessen ist nicht gegeben, was eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit der Arbeit zur Folge hat.

Dank ihrer Rätselhaftigkeit, verdichtet sich das Interesse der Untersuchung auf das Innenleben der Skulptur. Ihre vermeintliche Mehrschichtigkeit und überraschende Tiefe wird zur Projektionsfläche für Vermutungen, die sich wiederum auf den Ausstellungsraum ausweiten. Die Architektur scheint in sich komplexer zu sein, als auf den ersten Blick zu erkennen. Auch wenn die Objekte den Eindruck größter Selbstverständlichkeit vermitteln, die eine anderweitige Gestaltung des Raumes auszuschließen scheint, gewinnt die Architektur in ihrem Stellenwert an Bedeutung. Von der flankierenden Hülle wandelt sich ihre Funktion zum wesentlichen Bestandteil der Installation. Der Raum selbst wird integraler Bestandteil der Skulptur.

„Rotlichtbezirk“ ist die bislang größte Installation von Rita Rohlfing. Hinsichtlich ihres Zusammenspiels zwischen Objekt und Raum und der damit verbundenen Wahrnehmungsvielfalt, birgt sie zahlreiche Geheimnisse in sich. Die Arbeit hat experimentellen Charakter, auch für die Künstlerin, da die tatsächliche Wirkung vor Ort nicht anhand von Modellen ausgelotet werden kann. Der Gedanke der Rätselhaftigkeit hat folglich bei der Planung bereits seine Wurzeln. Bis zum letzten Moment der Fertigstellung wie auch ihrer Präsentation bleibt die Skulptur Hüterin ihrer tatsächlichen Wirkung bzw. Substanz.

Jede Auseinandersetzung mit der Installation kann folglich nur eine Annäherung sein, wobei die Vielzahl möglicher Interpretationsansätze für den Betrachter kontinuierliche Spannung garantiert. Obwohl nicht vordergründig darauf ausgelegt, herrscht zwischen Objekt und Rezipient ein beinah intimes Verhältnis der Kommunikation. Der Wunsch, die Geheimnisse der Arbeit zu lüften, gleicht einem permanenten Versuch der Annäherung, der allerdings nur partiell zur Erkenntnis führt. Der „Rotlichtbezirk“ als nicht wirklich fassbarer Ort des Verlangens bleibt in der Installation von Rita Rohlfing letztlich unnahbar. Wünsche, Träume und mögliche Sehnsüchte der Betrachter bleiben folglich auf eine geistige Ebene beschränkt und können in letzter Konsequenz allein in der Fantasie ihre Erfüllung finden.

Christian Krausch
in: RITA ROHLFING – ROTLICHTBEZIRK, Ausst.-Kat./exh. cat. Bonn, LVR-LandesMuseum Bonn, Bonn 2002, S./pp. 4–10

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