RITA ROHLFING – FARB_LICHT, Stadtmuseum Siegburg, 2024

Gundula Caspary

Die Jury, die Rita Rohlfing 2018 den Leo-Breuer-Preis, Bonn verlieh, zeigte sich gegenüber ihrem Werk „beeindruckt von einer über Jahre verfolgten künstlerischen Idee, die sich immer wieder neu artikuliert. …“

Das gelingt Rita Rohlfing auf vielfältige Weise, indem sie mit Öl-, Acryl- und Lack-Farbe arbeitet, auf Leinwand, Aluminium oder Edelstahl, mit Acrylglas, transparenten oder reflektierenden Folien und Fotografie. Sie kreiert daraus Bilder und Objekte, Skulpturen und raumgreifende Installationen, besetzt Flächen, Räume und Architekturen. Dabei überschreitet sie immer wieder Grenzen – Gattungsgrenzen zwischen Malerei, Bildhauerei und Installation, aber auch stilistische Grenzen zwischen Konkreter und Konstruktiver Kunst und Farbmalerei, rationalem Kalkül und visueller Sinnlichkeit. 

In Siegburg war im Sommer der in farbiges Licht getauchte Kultur-Kiosk zu sehen, den Rita Rohlfing auf zugleich schlichte und raffinierte Weise mit farbigen Folien beklebt hat, seitenweise in rot, gelb und orange (Abb. Kurt Böttner); der Rest ergab sich eigentlich von alleine: Mit dem einfallenden Licht begann die Farbe zu strahlen, als flutete die Sonne selbst aus der Farbe, aus dem Kiosk heraus; mit den perspektivischen Überschneidungen entstanden farbliche Vermischungen und neue Töne, ebenso wie je nach Standpunkt des Betrachters die farbige Glasfläche transparent und das dahinter Liegende sichtbar wurde, oder aber das Gegenüberliegende und der Betrachter selbst sich darin spiegelten.

Damit sind alle Faktoren benannt, die im Werk von Rita Rohlfing eine große Rolle spielen: Farbe, Licht, Raum und die Bewegung des Betrachters.

In der Ausstellung im Siegburger Stadtmuseum, der die Intervention im Kultur-Kiosk sinnstiftend und ergänzend voranging, zeigt Rita Rohlfing im Wesentlichen drei ihrer aktuellen Werkgruppen: die shaped canvas, die untitled spaces und die secret spaces.

Shaped Canvas bezeichet Leinwände, die – anders als das klassische Tafelbild – nicht über einen Rahmen mit rechten Winkeln gespannt sind, sondern über eine asymmetrische Konstruktion, mit fehlenden Kanten, spitzen Ecken und stumpfen Winkeln oder gar gerundeten Seiten. Ihre dergestalt frei und immer wieder neu komponierten Leinwände versieht die Künstlerin mit einem mehrschichtig und nuanciert aufgetragenen, mal etwas mehr, mal etwas weniger wolkig erscheinenden Rot. Die scheinbar monochromen Farbflächen fangen das Licht ein; sie reflektieren es nicht einfach; sie absorbieren es, um es anschließend wieder in den Raum, zum Betrachter zurückzuschicken, als käme die warme Lichtquelle aus ihrem Inneren. Das samtene Rot leuchtet, es atmet und pulsiert, je länger man es betrachtet, um so intensiver, bis es aus der Fläche hervorzudrängen scheint, ähnlich wie bei den Arbeiten von Gotthard Graubner. Wo dieser die Leinwände tatsächlich kissenartig nach vorne auswölbt, sprengt Rita Rohlfing das traditionelle Rechteck des Wandbildes und „verzieht“ den Rahmen zu neuen konstruktiven Gebilden. Die ungewöhnlichen Formen und die changierenden Farbflächen suggerieren eine räumliche Tiefe, die die Leinwandarbeiten eigentlich nicht haben. Dennoch empfindet man die Gemälde als plastisch, fast schon als Objekte. Am augenscheinlichsten ist diese optische Täuschung bei der kleinen Leinwand R.o.T., in der ein hellerer Farbkeil an der rechten Bildseite parallel zu der Verschiebung des Rahmens auf der linken Bildseite schon bei der frontalen Betrachtung eine Dreidimensionalität evoziert, und das Gemälde als Box erscheinen läßt, die wie ein Briefkasten vor der Wand hängt. Ähnlich verhält es sich bei dem Wandstück R.o.T., das das Bild eines Buches erzeugen mag. In den großen Arbeiten fehlt diese klare farbliche Akzentuierung; daher ist das Auge zunächst eher irritiert, weil es eine andere Bildform erwartet. Mit der sanften Bewegung, dem langsamen Abschreiten des Raumes vor dem Bild entwickelt auch das große R.o.T. den Eindruck einer Plastizität, einer dynamischen Bewegung, eines Eindringens in den architektonischen Raum, eines Seitwärts-Strebens nach rechts hin. Tatsächlich hat Rita Rohlfing einige Leinwandarbeiten bereits dreidimensional gebaut; in der Ausstellung hängt eine noch an der Wand R.o.T., andere (nicht in dieser Ausstellung befindliche) stehen auf dem Boden und sind folglich nicht mehr der Gattung der Ölmalerei zuzuordnen, sondern bereits skulpturale Raumobjekte.

Zwei Arbeiten, die eindeutig der Gattung der Skulptur und Plastik angehören, sind die Stele 69° und die Welle

In der raumhohen Stele vereinen sich der nackte, kühle Stahl, zu einem 69°-Winkel gefaltet, und das glühend-warme, feuerrot lackierte MDF, das scheinbar einen Viertelkreis beschreibt – tatsächlich sind aber auch hier die Seiten leicht zueinander verschoben und die Schenkel ungleich lang, so dass wieder die optische Irritation den Standpunkt des Betrachters und seine Wahrnehmung beeinträchtigt. Je mehr man sich der polierten Farbe nähert, je weiter man sich in die Rundung hineinbegibt, je länger man sich der Intensität des Rots hingibt, desto mehr wird man von ihm umfangen und aufgesogen. Auch wenn der weiße Sockel ein tatsächliches Hineintreten in das rote Rund verhindert, fühlt sich der Betrachter geradezu in der konzentrierten Anschauung der verdichteten Materialität architektonisch verortet. Ganz anders verhält sich die Rückseite der Stele, auf der sich der Betrachter spiegelt, so dass ihn die Materie sinnbildlich auf sich selbst zurückwirft. 

Die Welle ist ein nach vielen Experimenten mit dem Material präzise kalkuliertes Gebilde aus Aluminium, das nur in einer bestimmten Stärke auf die gegebene Länge von vier Metern den perfekten tropfenförmigen Bogen schlägt und nunmehr in sich ruht. Auch hier gibt es eine nackte Metallseite und eine mit warmem Rot und Purpur bemalte Innenseite – sozusagen eine kühle Schale und einen weichen Kern. Je nach Standpunkt der Betrachtung bildet die Stoßkante der beiden Farben die Schattenlinie des Aluminiums nach, oder aber sie verschwimmt in einem nebulösen, warmen Farbraum.

Damit wären wir bei den untitled spaces, die ähnlich dem Prinzip der shaped canvas aus einem asymmetrischen Bildträger, nämlich poliertem Aluminium bestehen, auf dem die monochrome Farbe in vielen dünnen Schichten aufgetragen und immer wieder geschliffen wird, bis eine homogene Farbfläche entsteht, die jeglichen individuellen künstlerischen Duktus vermeidet; in technischer Perfektion, fast schon magisch, überziehen die gedämpften Farben – blau, grau, rot-braun – die kühlen Oberflächen des Metalls, mit einer scharf gezogenen Kante zu einem stets unbemalten, feinen Randstreifen, der die optische Irritation und plastische Wahrnehmung der flachen Wandarbeiten unterstützt – und zugleich den werkimmanenten Verweis anführt, dass es sich bei der Malerei um eine Illusion handelt. 

Wie bei den Leinwandbildern entwickeln auch die untitled spaces eine räumliche Dimension und dynamisches Streben, besonders, wenn sich der Betrachter langsam vor ihnen bewegt. 

Die Bewegung im Raum definiert auch die sinnlichen Eindrücke, die uns die secret spaces vermitteln. Dabei handelt es sich um Acrylglas-Objekte, in deren Innerem die Künstlerin leicht schräg gestellte, partiell farbig gefasste Elemente platziert, die man durch das opake Acrylglas für Vorhänge oder architektonische Stützen halten könnte. Bei frontaler Betrachtung meint man das Objekt schnell erfasst zu haben. Sobald man aber den Standpunkt ändert, den Blickwinkel und damit den Lichteinfall, verschwinden plötzlich einzelne Farbstreifen, entzieht sich die Farbe dem visuellen Zugriff, während vielleicht andere Farben aufscheinen und damit den Stimmungsgehalt des Objektes völlig verändern können. Wie ein Vexier- oder ein Lentikularbild (auch Prismen- oder Linsenrasterbild genannt, umgangssprachlich Wackelbild), das seine Farbe und Motive bei minimaler Drehung verändert. Nur dass es sich hier nicht um eine flache Bildebene handelt, die Räumlichkeit evoziert, sondern um ein räumliches Gebilde mit dreidimensionalem Innenleben, das eine changierende Fläche suggeriert. Auch hier vermag es die Künstlerin mit der Kunst der Täuschung, die Materialität und die Farben in Schwingung zu versetzen und zum Leuchten zu bringen. Es entstehen diffuse Licht-Farb-Räume von wandelbarer Farbigkeit / Tonalität und poetischer Faszination. Nicht umsonst lauten einige ihrer Titel IMMATERIAL SPACE. Auch die Acrylglas-Objekte scheinen das Licht aufzusaugen und ein Vielfaches davon wieder auszustrahlen, als läge die Lichtquelle in ihrem Inneren wie in einem Leuchtkasten – oder wie der Kultur-Kiosk, der im Sommer mit seinem warmen Leuchten den ihn umgebenden Raum flutete; womit wir wieder am Anfang wären.

Rita Rohlfing entwickelt mit wenigen Mitteln, denen sie über viele Jahre, Jahrzehnte treu geblieben ist, eine Vielfalt von Werkgruppen, die auf scheinbar simple, letztlich aber sehr raffinierte Weise Licht in Farbe, Farbe in Raum, Raum in Licht umwandeln. Ihre Arbeiten wirken auf den ersten Blick nüchtern, sachlich, streng, scharf konturiert; schnell aber zeigt sich, dass sie in ihrer Farbigkeit sehr lebendig, warm, emotional und wandelbar sind; dass sie in ihrer Formgebung alles andere als schnell zu begreifen sind, dass sie den Betrachter verunsichern und irritieren, weil sie die Ebenen zwischen Fläche und Raum, zwischen den Dimensionen verwischen, überschreiten, neu definieren. In alldem – der Klarheit der Farbe und der Unklarheit der Form – wirkt das immaterielle Licht als Farb- und Volumen-Geber, als die Kraft, die die Materie und unsere Wahrnehmung formt. 

Dabei spielt Rita Rohlfing mit den Möglichkeiten der optischen Täuschung und Irritation, in einer Zeit, in der wir unserer eigenen Wahrnehmung aufmerksam mißtrauen sollten, in der die Informationen und Bilder um uns herum immer mehr manipuliert werden zu fake news und fiction, zu mehr Schein als Sein. In Zeiten vielfältiger gesellschaftlicher und politischer, klimatischer und gesundheitlicher Instabilität ist Rita Rohlfings Kunst sicher eine angenehme und sinnliche Form der visuellen Irritation, deren Betrachtung man sich gerne intensiv hingeben darf.

Dr. Gundula Caspary, RITA ROHLFING – FARB_LICHT, Ausst. – Kat./exh. cat., Stadtmuseum Siegburg, 2024

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