Rita Rohlfing – Das Virtuelle im Konkreten
2015, Kunstforum International, S. 334-335
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Clemens Sels Museum, 13.9.2015 – 10.1.2016
Sabine Elsa Müller
Bei klarem Himmel ist das Farbenspiel spektakulär, das sich in einem schmalen Fenstersegment des Clemens Sels Museums entfaltet. Unterschiedliche, intensiv aufglühende Rottöne werden von einem strahlenden, aber dennoch sehr sanften, hellen Grün in schönstem Komplementärkontrast angeheizt, in dem sich der Rasen als Bestandteil einer Rauminstallation wichtigmacht. Sobald erste Sonnenstrahlen die Arbeit „ANSCHEINEND“ im Gartensaal des Museums durchdringen, wird die Intensität der Farben und ihres unsteten Wechsels noch einmal gesteigert. Jetzt lässt sich auch vom Park aus beobachten, wie sich Malerei in einen lebendigen Farbraum verwandelt.
Der unmittelbar sinnlichen Wirkung der Arbeiten von Rita Rohlfing (geb. 1964) kann man sich kaum entziehen. Sie arbeitet mit den visuellen Reizen starker Farben, vornehmlich leuchtender Rottöne, und kitzelt den voyeuristischen Nerv mit einem raffinierten Wechselspiel von Zeigen und Verbergen. Aber hinter diesen Verführungskünsten lauert eine komplexe Auseinandersetzung mit dem Geheimnis des Sehens. Wer ihnen verfällt, findet sich bald in einem Dickicht unterschiedlichster Eindrücke wieder, die sich nicht selten scheinbar gegenseitig ausschließen. Die Flüchtigkeit der sensorischen Wahrnehmung findet keine plausible Erklärung und setzt eine analytische Reflexion in Gang, die wiederum zu Korrekturen des eigenen, räumlichen wie mentalen Standorts animiert. Der Erfahrungshorizont weitet sich.
Die seit langem in Köln beheimatete Künstlerin bringt das Museum mit seinen ganz unterschiedlichen Raumsituationen zum Tanzen. Auch nach der Wiedereröffnung bleibt das Mehrspartenhaus für Zeitgenössisches schwierig. Der sperrigen Architektur mit ortsbezogenen Projekten beikommen zu wollen, spricht allerdings für eine ambitionierte Ausstellungspolitik. Mit Rita Rohlfing setzt die Kuratorin Bettina Zeman auf eine erfahrene Künstlerin, die sich wesentlich mit der raumschaffenden Qualität von Farbe und Malerei auseinandersetzt und daher immer schon ortsspezifisch gearbeitet hat. Die Architektur bleibt nicht bloße Projektionsfläche, sondern wird – wie bei den Außenarbeiten die Natur – zum Bestandteil der Arbeit. Es geht eben nicht nur um Farbe, sondern um ihre Interaktion mit allem anderen. Der nüchterne Gartensaal wird neu definiert, indem die Glasfront mit „ANSCHEINEND“ nicht mehr nur eine quasi unsichtbare, transparente Schnittstelle zwischen innen und außen bildet, sondern als Membran zwischen den beiden Bereichen selbst thematisiert wird. Als solche reagiert sie auf jede kleinste Veränderung, innen wie außen. Damit geht aber auch eine neue Wahrnehmung dieser Veränderungen einher, der eigenen Bewegung, des Lichts und ihrer Rolle als ebenso wichtige Komponenten der Arbeit.
Ganz anders die Situation im düsteren und recht unruhigen Foyer. Auf das 70er Jahre Ambiente mit seinen betonlastigen Zumutungen reagiert Rohlfing mit einem zwar nicht neuen, aber bewährten Mittel: Eine Schwarzweißprojektion überzieht den schweren Baukörper der zentralen Treppenanlage mit einem transparenten Netz feinster Strukturen, die ihn optisch auflösen. Nicht um Überlagerung, sondern um die Versöhnung von Gegensätzen scheint es in dieser Ausstellung immer wieder zu gehen. Die Projektion „the virtual in the concrete“ zielt auf die Unmöglichkeit der Trennung zwischen virtueller und konkreter Realität. Sie überführt Volumen in ein schwebendes Sinnbild des Konstruktiven. Der Gegenstand der zugrunde liegenden Fotografie lässt sich nur schwer aus dieser starken Verbindung herausschälen: Es handelt sich um eine 1995 von der Künstlerin geschossenen Aufnahme eines New Yorker Brownstone Buildings mit seinen typischen gusseisernen Feuerleitern. Außen- und Innenraum werden durch den Perspektivwechsel zwischen extremer Untersicht auf der einen Seite und der realen Raumtiefe der massigen Treppenkonstruktion auf der anderen regelrecht miteinander verschmolzen. Die stürzenden Linien überkreuzen sich und schaffen Stabilität.
Rita Rohlfing hat der Bedeutung von spitzen und stumpfen Winkeln bei der Suggestion von Raumtiefe eigene Untersuchungen gewidmet. In der Gruppe der „untitled spaces“ erscheinen flache Wandarbeiten aus bemaltem Aluminiumblech wie perspektivisch verkürzte, dreidimensionale Objekte. Zwei dieser Arbeiten ergänzen auch in Neuss die Rauminstallationen mit vibrierenden Energiefeldern, die wie ein Echo die horizontalen, vertikalen und diagonalen Raumlinien aufnehmen und vielfach in den Raum zurückwerfen.
Die Winkelstellung ist aber auch ausschlaggebend für die Raumwirkung der Acrylglaskästen, von denen ebenfalls einige Beispiele zu sehen sind – hier im Sinne des Brechungswinkels, der über die Farbwahrnehmung des Lichts entscheidet. Der Prototyp dieser Zwitterwesen zwischen Malerei und Skulptur entstand 1998. Die Farbe befindet sich dabei im Innern eines aus mattiertem Acrylglas zusammengesetzten Gehäuses. Die Positionierung der dem direkten Blick verborgenen, mit Acryl bemalten Innenelemente bleibt undurchschaubar, ist jedoch dergestalt, dass sich von jedem Standort aus eine andere Seherfahrung herstellt. Was von einer fixierten Position aus fast farblos erscheint, kann sich aus anderer Perspektive in ein überraschendes Farberlebnis verwandeln. Wiederum setzt sich in Verbindung mit der eigenen Bewegung im Raum ein Prozess in Gang. Das Spiel mit einer immer nur partiell erfahrbaren Realität sorgt für einen Eindruck des Ungreifbaren, Virtuellen, das wiederum das Interesse kontinuierlich erregt.
In einer Gruppe neuer Arbeiten verfolgt Rohlfing das Phänomen der Raumerweiterung auf einem ganz anderen Terrain. Diesmal sind es Fotografien, die hinter Acrylglas präsentiert werden und mit ihren Maßen von 200 x 125 x 3 cm an sich schon raumgreifende Dimensionen einnehmen. Die von Spuren und Lichtreflexen durchzogenen Felder mit ihrem Wechsel von Bereichen diffuser Unschärfe mit scharf gezeichneten Details lassen sich weder als Ganzes erfassen, noch kann man sie ohne die Spiegelungen des Museumsraumes und des eigenen Körpers betrachten. In ihren schrundigen Oberflächen mischen sich Ort und Zeit der Betrachtung. Dabei lässt sich durchaus ein zusätzlicher Reiz aus dem Wissen gewinnen, dass der Hallenboden der letzten Art Cologne samt der Fußspuren ihrer Besucher die Vorlage für die mysteriösen schwarzen Bildräume lieferte.
in: KUNSTFORUM INTERNATIONAL, Bd./vol. 237, 2015, S./p. 334f