Rita Rohlfing – Lufttöne, 1999
Installation im Kunstmuseum in Mülheim an der Ruhr
Gabriele Uelsberg
Im Jahr 1999 hat Rita Rohlfing im Wechselausstellungsraum des Gebäudes der Alten Post, in dem das Kunstmuseum der Stadt Mülheim an der Ruhr beherbergt ist, eine Installation realisiert, die den 16m tiefen und 12m breiten Raum in einer lichten Höhe von fast 5m dominierte. Rita Rohlfing besetzte mit ihrer Installation den Raum als Kontinuum und gestaltete ihn zu einem Farbkörper. Sie entwickelte für diesen Raum im Sinne ihrer künstlerischen Gesamtkonzeption, die sich kontinuierlich vom Raumbild zur Skulptur erweitert, ein dreidimensionales begehbares Raumbild mit dem Titel „Lufttöne“.
Der Versuch einer Beschreibung dieser Arbeit beginnt zunächst mit der Benennung der Gestaltungselemente. Der Raum, in dem sich die Installation befindet, wird von den Seiten her durch je fünf große, hochrechteckige Fenster erleuchtet. Der Betrachter betritt den Raum von der Schmalseite her und erfährt ihn als ein sich nahezu 16m in die Tiefe erstreckendes Kontinuum. Zunächst nimmt er eine erste Reihe von Plexiglasplatten wahr, die von der Decke herabhängen, ca. 60 cm über dem Boden schweben und je eine Fläche von 3 x 1,40 m haben. Die hochrechteckig hängenden Plexiglasscheiben wirken milchig getrübt durch die Schicht einer aufkaschierten Sandstrahlfolie. Die Wirkung des Raumes und der Wahrnehmung wird diffus, wird gebrochen. Im Abstand von 3m folgt eine zweite Reihe von fünf gleich gestalteten Plexiglasscheiben, die genau in der Flucht der ersten Reihe in gleicher Höhe von der Decke abgehängt sind. Je nach Betrachterstandpunkt sieht man zwischen den Lücken der Scheiben die jeweils nächste Reihe. Die Diffusität verstärkt sich, die Strukturen verdichten sich und gestalten ein merkwürdiges Nebeneinander von Luft als dichter und Luft als ganz transparenter und leichter Atmosphäre. Im hinteren Bereich des Raumes, wiederum 3m von der zweiten Plexiglasscheibenreihe entfernt, hängen fünf Aluminiumplatten gleicher Größe, also 3 x 1,40 m, die von der Künstlerin mit unterschiedlich großen Farbfeldern mit exakter Abgrenzung vertikal bemalt wurden. Die Farbe Rot in unterschiedlichsten Abwandlungen wird hier thematisch in der bisweilen schmerzenden Konfrontation von blauen und gelb dominierten Rottönen, die als Farbflächen direkt gegeneinander gesetzt sind. Der Betrachter wird konfrontiert mit fünf verschiedenen „Rotzuständen“, die von monochromem Zinnoberrot, Rotwerten in der Kombination von Orange und Rot sowie Rosa und Orange bis hin zu einer monochrom rosafarbenen Aluminiumplatte reichen. In diesen Farbkompositionen finden sich unterschiedliche Temperaturen roter Farbigkeit, die sich immer wieder anders im Raum verhalten und die Betrachtung zu einem Wechselspiel von Farberlebnissen macht. Von Kalt nach Warm und von Warm nach Kalt gehen die Rotbereiche, wobei Rita Rohlfing in der Konzeption der Aluminiumplatten die Farbspannungen in der Kombination von dissonanten warmen und kalten Rotfarben gekonnt steigert.
Der Raumfarbkörper der Installation „Lufttöne“ entwickelt sich in diesem Kontext im Zusammenspiel von gestalteten und gleichsam ungestalteten Flächen, das im Hintereinander von Plexiglasscheiben und gemalten Aluminiumoberflächen entsteht. Im Abschreiten des Raumes und damit der Reihen erlebt der Betrachter ständig neue Impulse der Wahrnehmung. Die bemalten Aluminiumplatten scheinen im Raum zu schweben und werden durch die Spiegelung in den Plexiglasscheiben zu diffusen Lichttönen „verschwommen“. Es entwickelt sich eine Gesamtskulptur, durch die der Betrachter sich bewegt und die sich im Abschreiten der unterschiedlichen Raumwerte immer wieder neu konstituiert und im Raum gleichsam die Farbe Rot wie einen roten Nebel, wie einen Schleier, eben wie einen Luftton erfahrbar macht. Erst in der letzten Reihe direkt vor den Farbplatten erlebt er die Farbe in ihrer ganzen Dominanz und Präsenz, ungefiltert durch die Plexiglasscheiben.
Wenn der Betrachter das Ende des Raumes erreicht hat und sich im hinteren Teil zurück wendet, sieht er die rückwärtigen Seiten der Aluminiumplatten, die völlig unbemalt gelassen sind. Hier stellt sich für die Wahrnehmung eine kühle Grauwertigkeit ein, die nur dadurch unterbrochen wird, insoweit der Betrachter selbst bisweilen je nach Lichtverhältnissen in den Aluminiumoberflächen leicht gespiegelt wird und sich so als ein neuer, ein anderer Farbton im Raum wiederfindet.
Der Farbkörper der Installation „Lufttöne“ erscheint in seiner Qualität nicht bestimmbar – mal ist er diffus gebrochen, manchmal klar und deutlich, momentan im Durchblick erfahrbar, dann wieder völlig aufgelöst und fast nicht mehr wahrnehmbar und immer wieder neu gemischt mit den Farbwerten, die die Besucher selbst in diese Installation einbringen. Betrachtet man „Lufttöne“ über einen längeren Zeitraum, so werden die einzelnen Besucher gleichsam Bestandteile dieses Farbraumes, der sich immer wieder neu darstellt und konstituiert. Die Reflexe auf den Oberflächen der Plexiglasscheiben, die andere Form von Spiegelung in den matten Aluminiumoberflächen, die Durchblicke durch die 75 cm breiten Spalte zwischen den einzelnen Platten, sie alle tragen immer wieder zu einem neuen Raum- und Farberlebnis bei, das diese Installation zu einem sich ständig verändernden und den Betrachter in ständiger Bewegung haltenden Environment macht.
Dieser immaterielle Farbraum, den Rita Rohlfing mit „Lufttöne“ schafft, leitet sich direkt von ihren jüngsten skulpturalen Arbeiten ab, bei denen sie innerhalb der Skulptur mit verschlossenen Räumen gearbeitet hat, wobei wiederum Farbe als Ton manifest wird, der durch eine mattierte Plexiglasscheibe hindurch nur diffus und unkonkret erfahrbar bleibt. Rita Rohlfing geht in der Installation so weit, diesen Farbraum, den sie in den Skulpturen noch geschlossen gehalten hat, zu eröffnen und für den Betrachter begehbar zu machen. In diesem Sinne ist die Installation „Lufttöne“ eine zwangsläufige Entwicklung in ihrer Arbeit. Der Farbraum in den Skulpturen, ein fast hermetisches und autarkes Volumen, wird jetzt zu einem völlig offenen, begehbaren Kontinuum, in dem der Betrachter gleichsam selbst mit zum gestaltenden Element wird, indem er durch seine Position ständig die Wahrnehmung verändert und indem er zum zweiten durch seine materielle Präsenz mit der Möglichkeit, sich zu spiegeln und von anderen wahrgenommen zu werden, selbst Bestandteil dieses immateriellen Farbraumes wird.