14. April 2016

Rita Rohlfing – Die Ausstellung AMBIVALENZ in der ehemaligen Reichsabtei Aachen-Kornelimünster

Maria Engels

Mit dem Ankauf des Werkes R.o.T. von 1998 ist Rita Rohlfing im Jahr 2001 vom damaligen Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport gefördert worden. Sie gehört – wie alle Künstlerinnen und Künstler, denen in der Landeseinrichtung „Kunst aus Nordrhein-Westfalen“ in der ehemaligen Reichsabtei Aachen-Kornelimünster Ausstellungen widmet, zu dem Kreis von Kunstschaffenden im Land, deren besonders herausragende Begabung von der Landesregierung gefördert worden ist.

Das Gemälde R.o.T. von 1998 gehört zwar nicht zur Konzeption der Ausstellung AMBIVALENZ – und wird deshalb auch im einem Vorraum präsentiert – die Rita Rohlfing gezielt für die Ausstellungsräume im Nordflügel der Abtei entwickelt hat, es ermöglicht gleichwohl schon einige, grundsätzliche Erkenntnisse bezogen auf ihre künstlerischen Intentionen.

Die Strahlkraft der mehr oder weniger monochromen Farbe war der Ausgangspunkt ihres künstlerischen Wollens, allerdings nie im Sinne des klassischen Tafelbildes, das die Farbe an die Fläche bindet, bzw. zur Ausmalung wiedergegebener Gegenstände benutzt. Bei R.o.T. handelt es sich um ein „shaped canvas“. Das klassische Bildgeviert wird aufgegeben zugunsten einer vieleckigen, dynamischen geometrischen Form, das monochrome Rot wird um den Keilrahmen weitergeführt, es scheint explosiv in den Umraum zu expandieren, auch die Bildfläche selbst suggeriert ein „sich in den Raum Vorwölben“.

Betritt man nun die eigentlichen Ausstellungsräume im Nordflügel, so wird man mit einem Arrangement von Werken konfrontiert, das Rita Rohlfing eigens für diese spezifische architektonische Situation zusammengestellt, bzw. einige Arbeiten dafür neu konzipiert und geschaffen hat. Schon seit einigen Jahren ist die Auseinandersetzung mit den jeweiligen Ausstellungsräumen für die Künstlerin immer weiter in den Vordergrund getreten.

Zwar hat der Zuschnitt der intimen, kabinettartigen Zimmer im Nordflügel der Abtei keine große installative Arbeit im Raum erlaubt, aber die Künstlerin hat sich dennoch intensiv mit dem besonderen Charakter der spätbarocken Räume auseinandergesetzt. Die Farbe tritt nur außerordentlich zurückhaltend in Erscheinung. Wer die im Werk der Künstlerin vertrauten Abstufungen einer Rotpalette erwartet, wird enttäuscht. Es dominiert die strenge, konzeptionelle, sparsame Form und die Farbe grau und diffuse Weißtöne, ein wenig – fast verstecktes – Blau und vereinzelt auch Rottöne.

Die Präsentation erscheint streng, puristisch und zurückgenommen, ist in ihrer handwerklichen Präzision aber enorm aufwändig und arbeitsintensiv. Es dominieren industrielle Materialien wie Aluminiumplatten und –profile, Edelstahlbleche, von der Künstlerin auf besondere Weise behandelte Plexiglasscheiben und Lackfarben.

Die Arbeiten präsentieren sich als präzise und ganz kalkuliert vorgetragene Setzungen im Raum, bzw. an der Wand, an genau dafür vorgesehener Stelle. Sie verbergen eigentlich keinen Schritt ihres handwerklichen Entstehungsprozesses, den der Betrachter sukzessive nachvollziehen kann. Er wird quasi aufgefordert, durch ein Abschreiten und den ständigen Wechsel seines Stand- und Blickpunktes jedes Werk ganz allmählich in seinen unerwartet vielschichtigen Dimensionen zu erfassen, die nur auf den ersten Blick klar und unmittelbar eingängig erscheinen.

Schrittweise begreift der Betrachter, der sich einlässt auf die zunächst so herbe und hermetisch wirkende Struktur der Arbeiten die ganze Spannbreite der künstlerischen Intentionen Rita Rohlfings. Die Werke oszillieren zwischen Malerei, Skulptur und Installation, bis hin zu architektonischen Elementen, soweit sie – nicht begehbare und nur von außen erlebbare – Farbräume schaffen, die in den Umraum hinein wirken.

Die matt geschliffenen, fein und gleichmäßig strukturierten Plexiglasscheiben, die an der Wand befestigten Kästen, die große Bodenarbeit, aber auch die beiden monumentalen Wandarbeiten AMBIVALENZ II und III abdecken, nehmen dem Betrachter auf eine faszinierende Weise die zunächst in der ersten Anschauung sicher geglaubte Erkenntnis in Bezug auf die in ihrem konzeptionellen, klaren und rationalen Aufbau eingängigen Arbeiten.

Im Ab- und Umschreiten der Werke kann man einen Teil der ersten Sicherheit zurückgewinnen, man wird aber auch immer wieder mit neuen überraschenden Eindrücken konfrontiert. Die besonders behandelten Oberflächen der Plexiglasscheiben lassen die klar konstruierten und geplanten formalen Gegebenheiten diffus erscheinen, die Farbe löst sich von ihrer de facto gegebenen Bindung an die Trägerflächen und wird räumlich erfahrbar in ihrer fast immateriell zu nennenden Strahlkraft, wobei die so entstehenden Farbräume immer hermetisch verschlossen und unzugänglich bleiben, aber in den real erlebbaren, uns umgebenden Raum hinein wirken.

Nicht nur die beiden großen wandgebundenen Arbeiten tragen den in diesem Zusammenhang bezeichnenden Titel AMBIVALENZ, sondern Rita Rohlfing hat ihre ganze Ausstellung in der ehemaligen Reichsabtei unter dieses Motto gestellt. Sie bezeichnet damit nicht allein die vielschichtigen Wechselbeziehungen zwischen Fläche, Farbe, Raum, rationaler Klarheit und Strenge auf der einen und diffuser, transzendierender Immaterialität auf der anderen Seite, sondern spricht auch die kontrastreiche Spannung zwischen dem konzeptionellen Purismus ihrer Arbeiten und dem spätbarocken Dekor der Ausstellungsräume an. Der Begriff der Ambivalenz erweist sich also insoweit zum einen in Bezug auf die künstlerischen Intentionen von Rita Rohlfing als ein ihrer Gestaltung zu Grunde liegendes Prinzip und im Hinblick auf die spezielle Ausstellungssituation in Kornelimünster als sozusagen in zweifacher Hinsicht zutreffend.

Zur Verdeutlichung meiner vielleicht etwas sehr theoretischen Ausführungen möchte ich noch zwei der Arbeiten beispielhaft beschreibend erläutern. Im ersten Raum steht die Bodenarbeit ANSCHEINEND, ein mit einer der erwähnten geschliffenen Plexiglasscheiben abgedeckter, an den Außenseiten mit Aluminiumblechen verblendeter Kubus, in dessen Innerem ein Farbverlauf von warmen zu kalten Rottönen sozusagen von unten angestrahlt in den Umraum zu wirken scheint.

Während des Ausstellungsaufbaus hat es sich ergeben, dass die abdeckende Plexiglasscheibe kurzfristig weggenommen werden musste. Dabei kamen überraschende Gestaltungsdetails zum Vorschein, die ich hier jetzt wiedergeben möchte, auch wenn ich dabei sozusagen einen Teil des Geheimnisses lüfte. In den Kubus eingestellt ist nämlich eine mit der spitzen Seite nach unten weisende, dreieckige, präzise konstruierte Aussparung, die bis auf den Boden des Kubus reicht und deren Begrenzungsflächen im Verlauf von warmen zu kaltem Rot eingefärbt wurden. Diese klare geometrische Konstruktion mit realer, deutlicher räumlicher Tiefe ist für den Betrachter nicht mehr eindeutig nachvollziehbar, die räumliche Situation erscheint diffus, die Strahlkraft der Farbe beinahe wie durch Kunstlicht verstärkt. Der Titel ANSCHEINEND gibt insoweit den Sachverhalt treffend wieder, als er die Ambivalenz des Faktums und seiner Erscheinung treffend bezeichnet.

Als weiteres Beispiel möchte ich die im zweiten Raum platzierte Bodenarbeit ohne Titel aus polierten Edelstahlblechen benennen. Die asymmetrische, trapezförmige Grundform lässt durch einen senkrechten Spalt einen Einblick in den dunklen, undefinierten, hermetischen Innenraum zu. Beim Umschreiten der Skulptur werden vielfältige Spiegeleffekte wirksam. Nur an einer bestimmten Stelle kann der Besucher alle vier Deckengemälde gespiegelt erleben. Je nach Betrachterposition und Lichteinfall sind die Spiegeleffekte so ausgeprägt, dass die Materialität der Skulptur nahezu aufgehoben erscheint. Auch hier wird der Begriff der Ambivalenz in seiner ganzen Vielschichtigkeit anschaulich erlebbar.

Das beeindruckende und faszinierende Zusammenspiel von stiller rationaler Strenge und irrationaler Wirkung, von klarer materieller Präsenz auf der einen und immaterieller und transzendierender Erscheinung auf der anderen Seite kennzeichnet die Arbeiten von Rita Rohlfing. Ihre Werke bewahren in dieser Ambivalenz das für die Kunst wesentliche Prinzip des Geheimnisvollen, ohne das diese nicht existent ist.

in: RITA ROHLFING – AMBIVALENZ, Ausst.-Kat. Aachen-Kornelimünster, Landeseinrichtung KUNST AUS NORDRHEIN-WESTFALEN, Aachen 2006