23. Februar 2016

Gabriele Uelsberg, Direktorin Rheinisches Landesmuseum Bonn

Die Künstlerin Rita Rohlfing macht es keinem Betrachter und keinem Interpreten leicht, ihre künstlerische Zielsetzung einer Gattung zuzuordnen. 
Sie ist eine leidenschaftliche Malerin, die sich auf die Auseinandersetzung mit Farbe einlässt, sie malt und doch entstehen keine Gemälde im klassischen Verständnis.
 Sie ist Bildhauerin, die monumentale Skulpturen erschafft, die jedoch niemals Festkörper zu sein scheinen und Volumen nicht nach Außen sondern nach Innen kommunizieren. Sie ist Architektin, die sich stets im Raum definiert und diesen strukturiert und hinterfragt ohne jedoch neue nutzbare Räume zu schaffen sondern sie reduziert den Raum um Räume, die unbetretbar werden.

Der alleinige Wunsch, die Unbegreiflichkeit von Raum und Universum in das planemetrische System eines Leinwandbildes zu setzen, ist für die Künstlerin Rita Rohlfing schon lange nicht mehr ausreichend. Nachdem sie die Wertigkeiten des klassischen Tafelbildes in ihren Bildern bis an die Grenzen geführt hat, indem sie ihre Gemälde durch Brechungen, Verwinkelungen und das sukzessive Aufwölben der ebenen Leinwände in den plastischen Raum hinein erweitert hat, waren die Möglichkeiten des Leinwandbildes gewissermaßen bewusst ausgereizt. Daher erscheint es zwangsläufig, dass sich in ihren Arbeiten seit der Mitte der neunziger Jahre immer stärker die Tendenz festmachen lässt, die Bedingungen der Leinwand und des Tafelbildes nachhaltig zu verlassen und die Malerei direkt in den Raum zu setzen.

Rita Rohlfing konstruiert seither Farbräume in denen sie skulpturale und malerische Elemente so miteinander verknüpft, dass sie sich in ihren jeweiligen Komponenten gegenseitig gleichsam aufheben um gemeinsam ein drittes Element zu schaffen, das vor allem Raum ist und Farbe. Diesen immateriellen Farbraum erfährt der Betrachter auch in den drei jüngsten Installationen, die an unterschiedlichen Orten entstanden sind.

In der Oberhausener Inszenierung transparenzen durchspielte Rita Rohlfing das gesamte Spektrum ihrer Raumkonzeptionen. Im Zentrum hier setzte sie den großen „unbegehbaren“ Raumkubus in dessen Innerem dem Betrachter ein mysteriöser Farbraum begegnet, den er nicht erschließen und erst recht nicht betreten kann. In der Betrachtung von Farbraum erfährt der Besucher die Farbe als leichter als die Luft die ihn selbst umgibt. Schwerelos scheint die Farbigkeit – kaum von der Rahmenkonstruktion gehalten – nach Außen zu drängen. Wie ein eingefangener Farbnebel geriert sich ein Rot mit unzähligen Tönungen, das aus dem Körper gleichsam heraus quillt. Neben den unterschiedlichen Dichten von Rottönen, denen der Betrachter hier gegenübertritt, erweist sich der Innenraum, der sich immer wieder durch die verschleiernden Glasscheiben in den Außenraum „durchsetzt“ als Räume in Räumen, die ein Labyrinth der Farbigkeiten und der Zugänge andeuten.
Diesem überlebensgroßen Raumkubus setzt Rohlfing ihre Raumschleife entgegen, die mit den Elementen von Innen und Außen, Spiegelung und Mattigkeit, Farbigkeit und Metallton den Betrachter zu einem vergleichsweise intimen Einblick einlädt, der den Raum hier stärker öffnet und wieder ein wenig „fassbar“ werden lässt. 
Die dritte Setzung dieser Installation, AMBIVALENZ I / II sind die grauen Bildobjekte, die mit ihren monumentalen Formen und angeschrägten Seitenkanten, frühere Arbeiten aufgreifen und so gleichsam Schnitte auf die Wandflächen setzen, die den Raum ins Innere der Wände ausdehnen. Ergänzt ist die Installation hier auch um jene metallfarbenen Bildobjekte, die an der Wand lehnen und von einer gesandstrahlten Plexiglasscheibe partiell vom Raum und seinen Bedingungen „abgeschirmt“ erscheinen. Auch hier wird der Raum in die Wand verlängert und aus der Wand heraus in den Umraum hinein thematisiert und wahrnehmbar.
Rita Rohlfing besetzte mit ihren Installationen den Raum als Kontinuum und gestaltete ihn zu einem sich ständig wandelnden und in seinen unterschiedlichen Gewichtungen auch korrespondierenden Farbkörper. Das Spektrum in Oberhausen ist bewusst vielgestaltig und schöpft auch im Kontrast die Bedingungen des Raumerlebens aus.

In der Kölner Artothek zeigte sie ihre Installation ANSCHEINEND, bei der auf sehr subtile Weise die Wertigkeit des hohen Raumes, der nur im oberen Rand durch ein Band von Fenstern Tageslicht erhält, verändert und gewichtet wurde. Im Zentrum der Installation befand sich ein Aluminiumkubus, der auf dem Boden platziert war und dessen obere Fläche in gesandstrahltem Plexiglas den Blick auf eine innere Farbigkeit erahnen ließ, die sich aus verschiedenen Rottönen und sich gegeneinander verschiebenden Winkeln bildete. Besonders der Gegensatz zwischen den äußeren Aluminiumflächen der Skulptur, die in ihrer Glätte Spiegelung und Reflexion zulassen, und dem sich als „verschwommen“ erweisenden Raum hinter der Scheibe zieht das Augenmerk, das sich darauf richtet, von der Oberfläche weg ins Innere, in die Imagination. Diese stoffliche Mehrdeutigkeit greift Rohlfing im Raum auf und kontrastiert ihren Rotschimmernden Kubus mit einem aus Aluminium geschnittenen Bildobjekt, das wie beiläufig an die Wand des hohen Raumes gestellt erscheint. Der Blick auf die scharfkantige Aluminiumform ist jedoch wiederum „verstellt“ von einer gesandstrahlten Plexiglasscheibe in Metallrahmen, die im Abstand von 55 cm davor gestellt ist und nur im Verändern des eigenen Standortes den Blick auf das Dahinter partiell freigibt. Das kühlere Grau verschwimmt im Raum mit dem verhaltenen Rot zu einem Farbklang, der den hohen Raum der Artothek „durchwabert“ und ihn in eine fließende Veränderung zwingt. Farbe wird hier zum Bestandteil von Raum und ist nicht länger Zustand und Bezeichnung von Körpern. Der Raum gewinnt durch die Installationen von Rita Rohlfing eine Qualität von Unstofflichkeit, die vom Innenraum der Körper in den Betrachterraum selbst diffundiert und diesen zum Bestandteil der Installation selbst macht.

Im Aachener Ludwig Forum für Internationale Kunst entwickelte Rita Rohlfing im Gegensatz dazu für den Ausstellungsraum eine Gesamtkonzeption, bei der sich der architektonische Eingriff kontinuierlich vom Raumbild zur Skulptur erweitert, wobei ein dreidimensionales unbegehbares Raumbild entstand. Zwielicht ist der Titel der Rauminstallation, bei der Rita Rohlfing mittels großer matter Plexiglasscheiben einen „Ausstellungsraum“ schafft, der vor dem Zugang durch Besucher jedoch abgeschlossen ist. Im Inneren dieses unbetretbaren Raumes befinden sich Rottöne und Architekturen, die der Betrachter nur schemenhaft erkennt und die wie ein lebendiger Farborganismus ein Eigenleben zu führen scheinen. Durch das Licht, das durch die beiden Glaswände ins Innere dieser gestalteten Raumeinheit tritt, greift die Farbe drängend durch die matten Scheiben nach Außen und taucht den Vorraum der Installation in intensives Rot. Die Arbeit bestand aus zwei von Rohlfing gestalteten Raumscheiben aus mattem Plexiglas und einer inneren Mauerwand, der eigentlichen Architektur, die normalerweise zwei Ausstellungsräume voneinander trennt. Rita Rohlfing erweckt in ihrer Installation jedoch den Eindruck im Inneren wäre ein Raumkontinuum, das sich zu beiden Seiten fortsetzt. Dennoch ergaben sich keine Durchblicke, denn die Transparenzen reduzierten sich in der Arbeit auf Schemen unterschiedlicher Farbigkeiten.

Der Raumfarbkörper der Installation entwickelt sich zu eine Gesamtskulptur, vor der der Betrachter sich bewegt und die er dennoch auch als ein Volumen um ihn herum erlebt. Das Rot drängt so vehement in seinen Raum ein, dass er Bestandteil der Skulptur wird ohne selbst ins Innere der Arbeit eintreten zu können. Der konkrete Innenraum der Farbraumarchitektur ist nur diffus zu erahnen, denn durch weitere architektonische Eingriffe der Künstlerin, in denen Sie große Farbtafeln gegenläufig in den Raum setzt, wird der Blick im Inneren umgeleitet und im Kontext eines Farbakkords mit Rottönen unterschiedlicher Temperatur gestaltet. Hier wird ein präzises Farbkonzept realisiert, das Rohlfing genau plante. Die Verwendung von intensiven Farben stütze dabei die Lichtwirkung und „Ausstrahlung“ der Arbeit.
„Raum, Farbe, Licht werden ihrer Eindeutigkeit enthoben und erscheinen als „Zwielicht“, das uns in seinen Bann zieht.“ *

Der Farbkörper der Installation Zwielicht erscheint in seiner Dimension und Tiefe nicht bestimmbar. Hält sich der Betrachter von Zwielicht über eine längere Zeit vor dem entstandenen Farbraumkörper auf, so wird er gleichsam Bestandteil dieses Farbraumes, der sich immer wieder neu darstellt und konstituiert. Dazu wird er unmerklich „eingesogen“ in diesen uneindeutig zu erkennenden Innenraum mit seinen Brechungen und scheinbaren Widersprüchen, der nicht nur einen Teil seiner Wahrnehmung in Anspruch nimmt, sondern sich auch in seinem Denken ausbreitet, wobei der Blick eine Lösung sucht. Dieser immaterielle Farbraum, den Rita Rohlfing schafft, ist zwar ein fast hermetisches und autarkes Volumen wird aber in der wahrnehmenden Auseinandersetzung zu einem offenen, wenngleich nicht physisch begehbaren Kontinuum, in dem der Betrachter gleichsam selbst mit zum gestaltenden Element wird, in dessen Raum die Farbigkeit ausgreift und in dessen Inneres sein Sehen und Denken eintaucht.

Diese Symbiose zwischen Sehen und Denken, zwischen Wahrnehmung und Reflexion ist ein zentrales Thema in Rita Rohlfings künstlerischer Arbeit, dem sie sich über Malerei und Raumarchitektur in immer wieder Neuen und erfrischend überraschenden Installationen nähert und den Betrachter mit einbezieht in dieses Erfahrungskontinuum.

* Gabriele Teuteberg, Rita Rohlfing – Zwielicht, in: farbecht, Ludwig Forum für Internationale Kunst, Aachen 2003